Jedes neue Gesicht
Installation im halb-öffentlichen Raum
Iduna-Hochhaus, Münster 1999
Das Signal-Iduna-Hochhaus wurde 1960/61 gebaut und war das erste „Hochhaus“ im Zentrum Münsters. Inzwischen steht es unter Denkmalschutz. Zur Zeit der Installation waren in dem Bürogebäude mehrere Institutionen untergebracht, darunter in den obersten Etagen die Iduna-Versicherung, in den unteren Etagen das Wohnungsamt der Stadt Münster. Das hatte zur Folge, dass die edel in Marmor renovierten Aufzüge von ganz unterschiedlicher Klientel genutzt wurden, vom Versicherungsdirektor bis zum Obdachlosen.
An sieben aufeinanderfolgenden Tagen installierte ich sechs verschiedene kurze Textausschnitte sowie eine abschließende Erklärung in den beiden Aufzügen. Die Ausschnitte entstammen einem Interview, das Djuna Barnes 1913 in New York mit John F. Maguire, einem irischstämmigen Fahrstuhlführer, führte und im Brooklyn Daily Eagle veröffentlichte. Die Texte wurden in Bleisatz in der Helvetica halbfett 20 Punkt handgesetzt, auf Bütten gedruckt und zwischen zwei Plexiglasscheiben montiert, die an der Aufzugswand befestigt waren. Am letzten Tag verbrachte ich sieben Stunden in einem der Aufzüge und befragte die Benutzer_innen zu ihrer Wahrnehmung und meist sehr persönlichen Kontextualisierung der Texte.
Texte (zitiert aus:
„Jedes neue Gesicht – und davon gibt’s im Laufe eines Tages eine Menge – stellt mich vor ein neues Problem, und so habe ich gar keine Gelegenheit, müde zu werden. Der Tag ist um, ehe ich mich’s versehe, einfach nur dadurch, daß ich mich für meinesgleichen interessiere …“
„Statt nun die ganze Zeit von meinem Beruf zu reden, möchte ich gern ein Wort zu meinen Überzeugungen sagen. Meine unerschütterlichste betrifft den Selbstmord. Es gibt nur eine Weise, ihn zu begehen – und zwar, indem man allein bleibt …“
„Ich bekam die Stelle als Fahrstuhlführer, nachdem ich das große Los gezogen hatte und alles Geld losgeworden war, das ich auf der Bank hatte. Ich habe sechzehn Jahre lang den Fahrstuhl im Rathaus bedient, und die Art von Fahrstühlen sind die reinsten Streichholzschachteln, doch habe ich trotzdem kein einziges Mal jemanden verletzt. Da gab es nicht den kleinsten Kratzer am Finger, nicht mal ein Entrinnen um Haaresbreite, um das Ganze ein bißchen lebendiger zu gestalten. Unter meiner Bedienung blieb die Gondel nüchtern, was ja auch der einzig rätliche Zustand ist …“
„Vielleicht denken Sie ja, wenn man den ganzen Tag in einem Käfig steckt, hätte man am Ende nur Gitterstäbe und Gefängnisse im Kopf, aber die Wahrheit ist, ich bin so sehr daran gewöhnt, daß das ist, als führe man im Federbett; ich bin so zufrieden, als säße ich zu Hause in meinem alten Schaukelstuhl und träumte mit der Pfeife im Mund vom alten Irland …“
Kommentare der FahrstuhlbenutzerInnen:
„Das war wie früher beim Adventskalender, Türchen aufmachen. Wenn ich morgens in den Fahrstuhl bin, hab’ ich mich schon drauf gefreut und mich gefragt, was für ein Text wohl heute da steht.“
„Also, den Text mit dem Selbstmord, das fand ich Blödsinn, ich lebe seit 30 Jahren allein und komme gut klar! Wirklich!“
„Jedes neue Gesicht, ja, das trifft hier wirklich zu, habe ich gedacht, seit das Wohnungsamt hier eingezogen ist, kenn’ ich keinen mehr im Fahrstuhl, alles neue Gesichter, und mit denen muss man erst mal klar kommen.“
„Das mit dem Käfig, da merkt man, der hat schon mal gesessen, wa? Der spricht aus Erfahrung!“